Dank Twitter bin ich heute auf einen Artikelgestossen, der mich bewegt: Ai Weiwei is Living in Our Future – Living under permanent surveillance and what that means for our freedom. Der Autor, Hans de Zwart, ist der Direktor von Bits of Freedom, einer „Digital Civil Rights Organisation“ in Holland.
Ausgehend von den Erfahrungen, welche der chinesische Dissident Ai Weiwei während seiner Inhaftierung gemacht hat, zeigt de Zwart auf, welchen Methoden der (heimlichen) Überwachung wir permanent ausgesetzt sind respektive welche wir auf uns selber anwenden. Vom Satelliten über die Self-Tracking-Armbänder, die Apps, mithilfe derer man Kinder lokalisieren und verfolgen kann, bis hin zu den allgegenwärtigen Kameras auf Drohnen und bald schon Polizisten konfrontiert uns der Autor mit den Tools im Kabinett des Schreckens. Besonders eindrücklich ist für mich sein Hinweis auf die Kamera, die – zum Beispiel bei Google Glasses – uns anderen die aus der Ich-Perspektive gefilmte Welt so darstellt, wie wir sie bei Ego-Shooter-Spielen erleben: Bald schon, meint de Zwart, werden wir am unteren Bildrand die Hand von Ordnungshütenden sehen können, wie sie mit der Pistole einen Menschen in Schach hält oder erschiesst.
Dass er auch auf den Umstand hinweist, dass Google-Brillen- Tragende sich freiwillig zu „Sensoren“ dieses Unternehmens machen, indem sie diesem erlauben, alle die Winkel unserer Welt noch auszuleuchten, welche die Autos von Google-Street-View nicht erfassen konnten, sei noch besonders hervorgehoben.
Was tun?
Vielleicht sollten wir uns die Verhältnisse in der total überwachten neuen Unübersichtlichkeit tatsächlich etwas bewusster machen?
Vielleicht könnten wir ein Stück unserer Naivität ablegen, die noch immer glaubt, dass wir nicht gemeint sind, da wir ja nichts zu verbergen haben?
Den Film „Minority Report“ nochmals anschauen?
„The Circle“ von Dave Eggers lesen? Oder gleich Christoph Kucklicks „Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst“?
Vielleicht das Dissidente in uns wecken?
Ich stelle mir vor: Am Schreibtisch sitzend, schaue ich vom Latop auf und blicke aus dem Fenster. Fünf Meter vor mir steht die Drohne in der Luft und „schaut“ mich an. Manchmal bewegt sie sich leise, schwankt etwas hin und her. Es ist still, die vier kleinen Rotoren drehen sich fast lautlos. Sie abschiessen? Ich habe kein Gewehr, und hätte ich eins, wäre sie längst etwas weiter drüben. Vielleicht ebenfalls eine Drohne starten und der anderen beim Schauen zuschauen?
Und schon sind wir bei Dürrenmatt und seiner Novelle „Der Auftrag oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter“ – und natürlich seiner sagenhaften Rede zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises an Václav Havel: „Die Schweiz als Gefängnis“. Der Kreis schliesst sich, denn Václav Havel war, auch, ein Dissident.