Ein Abendessen mit einem ehemaligen Lehrerkollegen, im Ruhestand, und seiner Partnerin, noch amtierende Gymnasiallehrerin. Das Gespräch kommt, natürlich, auf die Schule. Die Kollegin ärgert sich über den zunehmenden Administrationskram, den Aufruf der Schulleitung zur Mitarbeit in Arbeitsgruppen, die Beurteilungsformulare zur Unterrichtsqualität, die sinnlosen Konferenzen, die aufwendige Gestaltung der Abiturprüfungen, die Mentoratsberichte über die Berufseinsteigenden, den Unterricht in ihren 10 (!) Klassen [sie erteilt ein 2-WochenLektionen-Fach]. Als meine Frau sie fragt, ob sie die Namen aller Studierenden kennen würde, kommt ein glattes „Nein!“. Wir erfahren auch, dass sie die Beurteilungskriterien für Prüfungsarbeiten immer erst nach geschriebenem Test festlegt – und dass sie es „nicht so habe“ mit ICT im Unterricht.
Schon früher habe ich zu solchen Nöten von Kolleginnen und Kollegen gebloggt. Ich verstehe sie, die Nöte und die Kolleg*innen, die sie äussern. Ich kann auch nachvollziehen, dass sie deshalb als gewagteste Unterrichtsmethode die Gruppenarbeit einsetzen, im Allgemeinen aber frontal bleiben. Auch bei diesem Essen kommen die altbekannten Bedenken zum Vorschein, dass die Studierenden, würde man sie mit dem Internet resp. mit Laptop oder Tablet oder Smartphone – und erst noch per SOL – arbeiten lassen, sogleich in unkontrollierte Gewässer hinaus surfen würden. Auch das kann ich aus ihrer Perspektive nachvollziehen. Trotzdem verstärkt sich bei mir die Überzeugung, dass sich landauf landab in methodisch-didaktischen Belangen deshalb so selten wirklich etwas ändert, weil viele Lehrpersonen zwar brav an entsprechenden Weiterbildungsanlässen teilnehmen, zu vielem nicken, was sich in unterrichtlicher Hinsicht ändern sollte, im Tiefstinneren jedoch nichts verändern wollen - u. a. aus Angst vor Kontrollverlust und mangelndem Vertrauen in sich und in ihre Studierenden. Und deshalb Argumente wie Zeitnot, Überlastung, Bürokratie u. Ä. in Anschlag bringen.
Im Grunde müsste es viel mehr Intervisionsgruppen von Lehrpersonen geben, wo man sich mit dem „Lay of the Land“ (Titel eines Romans von Richard Ford) auseinandersetzen könnte. Wo man sich im kollegialen Austausch fragen könnte, wie es um das „didaktische Herz“ bestellt ist, wie viel Volumen die „Unterrichts-Lungen“ noch haben, wie gut Berufs-Leber und -Niere die schulischen Giftstoffe verarbeiten und die beruflichen Energien regulieren. Wo man herausfinden könnte, aus welchen Stimmen das „innere Team“ sich zusammensetzt, um ihnen dann einmal genau zuzuhören, was sie zu den im Bildungsraum stehenden didaktischen Veränderungen sagen, wer eher auf die Bremse tritt, wer eher fürs Gasgeben plädiert.
Eine der seltensten Fragen, die ich in meiner 40-jährigen Gymnasiallehrergeschichte gehört habe, lautet: „Wie geht es dir (als Lehrer)?“ Immerhin hatte ich das Glück, an vier schulinternen und vom Staat, später von uns Teilnehmenden bezahlten Intervisionsgruppen mitmachen zu können: ein echter Gewinn!
Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn jede Schule Gelegenheit und Zeit böte, dass sich die an ihr tätigen Lehrermenschen vertieft(er) der Frage widmen könnten: „Wie geht es mir eigentlich hier mit dem, was ich tue oder meine tun zu müssen?“
PS: Eine der Goldenen Regeln im Tennis lautet: Wer nicht ganz hinter dem Ball ist, bringt nur einen faulen Schlag zuwege.